Blue Notes, Studie Nr. 2 für Klavier (2008)
Blue Notes ist ein überwiegend ruhiges und ‚intimes‘, dennoch quasi symphonisches Stück: Horizontale Strukturen sind recht selten, dafür gibt es vorrangig eine harmonische Vielstimmigkeit und Vielschichtigkeit. Raum, Harmonik und verschiedene Arten von Resonanzen gehören zu den Ebenen der Kontextualisierung des mehr oder minder vergänglichen Klavierklangs (der trotz seiner Vergänglichkeit einige Zeit zu „stehen“ scheint bevor er ausklingt und dadurch eine immanente Tendenz zur Statik hat, die eine gute Klaviertechnik und Klangvorstellung zu überwinden versuchen).
Raum, Harmonik, Resonanz: Klang-‚Räume‘ entstehen durch Überlagerung verschiedener harmonischer Ebenen mit unterschiedlicher Dynamik und Dauer, wobei die Simultaneität verschiedener Schichten der Textur eine gleichsam kubistische Wirkung verleiht; die Harmonik spiegelt Symmetrien, welche immer wieder durch „Blue Notes“ gebrochen werden (bis diese lokalen ‚Brüche‘ zum integralen Teil der Klangarchitekturen werden); mittleres und rechtes Pedal des Klaviers ermöglichen wiederum Resonanzspiele: sie fangen das ‚Schicksal‘ von Klängen ab, die sich (auch durch die Resonanz) permanent verwandeln. Wie ändert sich ein Klang zwischen den Momenten seiner Entstehung, seiner Mischung mit einem anderen Klang oder seiner Unterdrückung von ihm und seinem Wiederauftauchen, nachdem das Neue dem Alten wieder Platz macht (oder auch umgekehrt)? Inwieweit trägt der selbe Klang (ist er überhaupt der selbe?) die Erfahrung aller dieser Kreuzungen, Mischungen, „Attacken“, Kontextualisierungen? Die Konzentration auf das verborgene Werden und Vergehen zwischen den Akkorden lässt Öffnungen entdecken und fordert die Wahrnehmung durch ständig wechselnde Klangverknüpfungen heraus. Dabei ist die Harmonik eher der Auslöser klanglicher Prozesse, die eine tiefere Schicht des Stückes bilden: das Spiel mit den Obertönen und die wenig greifbaren und bei jeder Aufführung/Aufnahme immer anders auftretenden mikroklanglichen Prozesse bilden die Kern-Schicht von Blue Notes.
Manchmal lassen abstrahierenderweise diese klangarchitektonisch aufgetürmten Perioden an Brucknersche ‚Archetypen‘ denken; und die unaufhörlichen Transformationsprozesse ähneln vielleicht und trotz der grundlegenden Statik vergleichbaren Prozessen bei Alban Berg. Selbstverständlich gibt es hier keine motivisch-thematische Arbeit, dennoch scheint die vielschichtige harmonisch-klangliche Periodisierung in abstracto eine ähnliche Funktion zu übernehmen.
Blue Notes ist auch eine Etüde über Zeit und zeitliche Grenzen. Zwar ist der Beginn eines Klavierklangs meist eindeutig festgelegt, durch die starre Klangerzeugung quasi ‚egoistisch‘ vereinnahmend, sein Abbruch oder Ausklingen können aber tiefer liegende Schichten freilegen. Nicht zuletzt ist das Stück ein Fortschreiten in kreisender Bewegung (so etwa mit Rilke: Ich kreise um Gott, um den uralten Turm): die zwei Hauptteile bestehen jeweils aus mehreren Perioden, im Schlussteil wird der einzelne Klang selbst zur Periode.
Blue Notes wurde für den hervorragenden griechischen Pianisten Ermis Theodorakis geschrieben und ist ihm auch gewidmet.
Entstehung | Auftragswerk der Athens Music Society |
Dauer | ca. 12 Min. |
Besetzung | Klavier |
Widmung | Ermis Theodorakis |
CD | Piano Music by Greek Composers (II) |
Aufführungen (Auswahl) |
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